Leben und Wohnen – wie war das und wie wird es?
„Dossenheim ist in den letzten 50 Jahren stark gewachsen, die Einwohnerzahl hat seit 1970 um 50 % zugenommen. Eine zukunftsfähige Ortsentwicklung muss die Flächenversiegelung stoppen, wir brauchen qualitatives Wachstum im Innenbereich.
Wir fordern:
- ein Leerstandkataster sowie die Beratung und Hilfe für Menschen, die in kleineren oder größeren Wohnungen leben oder ihre Wohnung altersgerecht umgestalten möchten,
- eine interkommunale Wohnungsgesellschaft, um mit den Nachbargemeinden flächenschonend bezahlbares Wohnen zu ermöglichen, sowie eine regionale Bauplanung.“
So stand es vor zwei Jahren in unserem Kommunalwahl-Programm. Das Thema ist heute so aktuell wie damals, auch wenn die Pandemie vieles andere verändert hat. Blicken wir an dieser Stelle zurück und nach vorne: Was haben wir Grünen, was Dossenheim unternommen? Sind wir unseren Zielen nähergekommen?
Stand 2018/19
Im November 2018 gab es einen Infoabend mit der Dossenheimer BUND-Ortsgruppe und uns: „Wie werden wir wohnen?“. Eine wichtige Erkenntnis: der unausweichliche demografische Wandel erzwingt eine zielgruppengerechte Wohnungspolitik (>> siehe hier <<). In unserer Haushaltsrede formulierte ich daher: „Wir brauchen eine zielgruppenorientierte Wohnraumplanung, für Studierende, für Senior*innen, für weniger Betuchte. Zentrale Aufgabe der Gemeinde ist also die Innenentwicklung als Werterhaltung des Bestands an Wohnraum.“ Schließlich sagt ja unser gemeinsames Dossenheimer Leitbild: „Wir pflegen Dossenheim als Wohngemeinde, in der Menschen aller Generationen gerne leben, weil ihre besonderen Bedürfnisse erfüllt werden.“
Dann kam die denkwürdige Gemeinderatssitzung Ende November 2019, in der (endlich) Bewegung in die festgefahrene Augustenbühl-Diskussion kam – also die Frage, ob das ökologisch hochwertige Augustenbühl-Gebiet als Baureserve im Flächennutzungsplan bleiben soll (>> siehe hier <<). In einem mit der CDU-Fraktion zusammen herbeigeführten Beschluss wurde die Frage zunächst „auf Eis gelegt“, um alternative Möglichkeiten zu prüfen. Dies machen gerade unabhängige Experten für den dafür zuständigen Nachbarschaftsverband. Die Ergebnisse werden dann in einem Beteiligungsprozess öffentlich diskutiert.
Die Informationsgrundlagen
Ohne akkurate Informationen und Daten kann man nicht planen – auch nicht die Ortsentwicklung. Der sogenannte Wohnungsmarkt steht nun einmal in der Praxis nur finanziell ausreichend gut gestellten Bürgern offen und er zeigt nicht, wie viel Wohnraum es wirklich gibt. Deswegen haben wir ein Jahr später für den Haushalt 2020 beantragt, Wohnungsleerstand, freie Flächen im Innenbereich, Fehlnutzungen und ausbaufähige Dachgeschosse zu erfassen – Stichwort „Leerstandskataster“. Andere haben im Land gute Erfahrungen gemacht mit solchen auf freiwillige Mitarbeit und offene Datenbestände bauenden Untersuchungen. Der Antrag wurde leider von den anderen Fraktionen abgelehnt – die Verwaltung zeigte sich aber aufgeschlossen (>> siehe hier <<).
Erfreulicherweise haben sich inzwischen andere Fraktionen unserer Position angenähert. Wir sind natürlich zur Zusammenarbeit bereit und gespannt, ob und was sich hier in Zukunft bewegen wird (>> siehe hier <<).
Im Januar 2020 haben wir dann Karl Scheinhardt eingeladen, den Geschäftsführer der Kreisbaugesellschaft Tübingen, um uns über kommunale Optionen zur Förderung von bezahlbarem Wohnraum zu informieren. Die gemeinwohlorientierte Gesellschaft kümmert sich um Bau, Erhaltung/Sanierung und Verwaltung von Gebäuden sowie auch um preiswerte Mietwohnungen. Kürzlich entstand in der Stadt Mössingen ein Wohnneubau mit 6,22 €/m2 Kaltmiete. Anders als wenn die Gemeindeverwaltung den Bau abwickelt, muss eine „kommunale Baugesellschaft GmbH“ ihre Aufträge nicht (ggf. europaweit) ausschreiben, sondern kann gezielt regionale Handwerksbetriebe wählen. Das Bauamt würde sich dann auf seine Kernaufgaben konzentrieren (>> siehe hier <<).
Des Weiteren haben wir sowohl mit der gemeinwohlorientierten Nestbau AG als auch mit einem gewinnorientierten privaten Bauentwickler über Vor- und Nachteile ihrer Geschäftsmodelle gesprochen. Während z. B. die Nestbau vor allem genossenschaftliches Wohnen fördert und mit Profitmargen von ca. 2 % auskommt, benötigen rein gewinnorientierte Gesellschaften 4–5 %. Man könnte außerdem letztere nur für eine gewisse Zeit verpflichten, preisgebundenen Wohnraum bereitzustellen. Danach würden diese Wohnungen wieder über die „Kräfte des freien Marktes“ an diejenigen gehen, die am meisten zahlen können.
Eine öffentliche Gesellschaft scheint also nicht nur kostengünstiger zu sein. Vor allem hätten wir so als Gemeinde größere Handlungsspielräume. Die Frage bleibt natürlich: Lässt sich eine kommunale Baugesellschaft finanzieren – bei den bekannt hohen Grundstückspreisen an der Bergstraße?
Die Klausurtagung
Im Februar 2020 trafen sich Verwaltung und Gemeinderat zu einer Klausurtagung. Dabei haben wir erstmals – auf der Grundlage unseres Leitbilds – mittel- und langfristige strategische Ziele festgelegt. Diese Art von Masterplanung hatten wir schon seit Längerem angeregt. Bei der Ortsentwicklung wollen wir demnach zur „Erhöhung des Angebots und der Qualität an Wohnraum“ eine (inter?)kommunale Baugesellschaft weiter prüfen (>> https://dossenheim.de/buergerinformationssystem <<).
Her möchten wir explizit Herrn Bürgermeister David Faulhaber danken, der neuen Verfahren und Herangehensweisen gegenüber sehr aufgeschlossen ist und sie immer wieder aktiv fördert.
Der Stand der Dinge
Dann – kam Corona. Seit letztem Frühjahr gibt es aus den bekannten Gründen im Wesentlichen keine öffentlichen Informationsabende mehr. Und Verwaltung und Gemeinderat mussten zu den bisherigen Aufgaben auch noch die Pandemie schultern. Trotzdem haben wir mit den anderen Fraktionen ausgelotet, wie sich das Wohn-Thema – gemeinsam mit der Verwaltung – voranbringen lässt. Es steht weiter auf der Agenda! Wichtige Punkte sind im Moment:
- nur neuer bezahlbarer Wohnraum oder auch Management bestehender Gemeinde-Wohnungen?
- auch an Umbau, Sanierung etc. von privaten Wohnungen denken (demografischer Wandel!)?
- die gemeindliche Infrastruktur (z. B. Hallen, Schulen, …) einschließen?
- macht uns eine Bau- und Managementgesellschaft effizienter?
- entlastet sie den Kernhaushalt der Gemeinde?
- bekommen wir mehr Handlungsspielraum?
Sind diese Fragen geklärt und Ziele formuliert, könnten wir Nachbargemeinden entlang der Bergstraße, des Neckars und im angrenzenden Odenwald sowie den Rhein-Neckar-Kreis für gemeinsame Initiativen gewinnen. Dossenheim allein ist wohl zu klein für eine solche Unternehmung – zusammen ginge es, siehe Tübingen!
Ein gutes Beispiel
Ein Beispiel für erfolgreiche interkommunale Zusammenarbeit ist der vor einem Jahr gegründete gemeinsame Gutachterausschuss für die badische Bergstraße. Hiervon profitieren rund 150.000 Einwohner der nördlichen Rhein-Neckar-Region (RNZ 29.2.20, >> siehe hier <<).
Könnten wir das Wohnraum-Problem nicht genauso gemeinsam angehen?
Friedeger Stierle, Fraktionssprecher B90/Die Grünen