Aber wie schon in der Finanzkrise vor 15 Jahren so gilt auch jetzt, dass dies nicht das Ende der Kommunalpolitik bedeutet – es fängt jetzt erst richtig an und kreative Lösungen sind gefragt. Aus diesem Grund haben wir zwar keine Haushaltsanträge gestellt, die neue kostspielige Projekte anstoßen würden angesichts all der Dinge, die wir uns sowieso schon als Gemeinde vorgenommen haben. Einen grünen Antrag gab es aber dennoch. Er hat das Ziel, Einstellungsprozesse inklusiver zu machen. Im Wortlaut lautete unser Antrag:
„In den Haushalt 2025 wird ein Budget von 20.000 EUR für Beratungsleistungen eingeplant, um bei künftigen Einstellungsverfahren (von der Stellenausschreibung bis zur Einarbeitung) zugänglicher für qualifizierte neurodivergente Menschen zu werden.“
Zur Begründung führte unser Fraktionssprecher Hergen Schultze aus: Unter Neurodivergenz fasst man unterschiedliche Syndrome zusammen, darunter zum Beispiel Autismus, ADHS oder Bipolare Störung. Sie alle beschreiben neurobiologische Entwicklungsstörungen (im medizinischen Sinne bzw. im Vergleich zu neurotypischen Menschen), also Unterschiedlichkeiten des Gehirns, die nicht direkt sichtbar sind. Zwischen neurodivergenten und neurotypischen Menschen treten häufig kommunikative Schwierigkeiten auf, die als gestörtes Sozialverhalten der neurodivergenten Menschen fehlgedeutet werden.
In der Konsequenz sind neurodivergente Menschen unterbeschäftigt, d. h. ihre Arbeitslosenquote ist deutlich erhöht. Viele von ihnen sind aber nicht arbeitslos, weil sie keiner Arbeit nachgehen könnten, sondern weil entweder ihre Arbeitsweise nicht akzeptiert wird oder – und das ist der entscheidende Punkt – weil sie bereits durch die Art des Einstellungsverfahrens ausgeschlossen werden. Dabei könnten sie in vielen Fällen auf ihre Weise wertvolle Beiträge zum Arbeitsprozess leisten.
Gleichzeitig leidet die Kommunalverwaltung in Dossenheim wie viele andere Stellen unter dem allgemeinen Fachkräftemangel. Es fällt teilweise schwer, offene Stellen zu besetzen, dies ist weder für die Mitarbeiter der Verwaltung noch für die Umsetzung unserer Projekte gut. Eine verbreiterte Auswahl an Bewerber·innen würde daher auch der Arbeit in der Verwaltung unmittelbar zugutekommen.
Die Barrieren für neurodivergente Menschen im Bewerbungsprozess und bei der Einarbeitung sind allerdings vielfältig und oft nicht direkt zu erkennen. Deshalb regen wir an, dass sich die Verwaltung extern und professionell beraten lässt. Wir erhoffen uns davon ein breiteres Bewerberfeld, schnellere Stellenbesetzungen und in der Folge schnellere und effizientere Abläufe in der Verwaltung.
Wir freuen uns, dass nach kurzer Diskussion unser Antrag einhellig angenommen wurde.
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Anmerkung: Neben dem Wikipedia-Artikel „Neurodiversität“ bietet auch der folgende Link viel Interessantes über das Thema: „Autism at Work“ – ein gutes Vorbild bei der SAP (natürlich auf deutlich größerer Skala als bei uns): https://jobs.sap.com/job/Walldorf-Autism-at-Work-Deutschland-Initiativbewerbung-69190/344988401/